Als Discounter
(von engl. discount = Preisnachlass, Rabatt) bzw. Diskonter bezeichnet man
Unternehmen
des Einzelhandels, die durch Verzicht auf Dienstleistungen, den weitgehenden
Verzicht auf Dekorationen
sowie durch ein reduziertes Warensortiment und stark begrenzte Verkaufsfläche
Kostenersparnisse
erzielen und somit die Abgabepreise für den Endverbraucher senken können.
Im Gegensatz zum
traditionellen Handel beschränken sich Discounter auf "schnell drehende"
Produkte und erheblich weniger
Alternativprodukte innerhalb einer Warengruppe. Dadurch sinken u.a. die Kosten
der Vorratshaltung und
der Sortimentspflege, zudem entfallen Verluste durch schlecht verkäufliche
Artikel. Die wachsende Präsenz
der Discounter im deutschen Lebensmittelgeschäft hat den Preismarkt verschärft
und das Käuferverhalten
radikal verändert. Die uniforme Bauweise im "Cottage-Stil"
bevorzugt auf der "grünen Wiese", also
außerhalb der bestehenden Versorgungszentren, hat zudem zu Verschiebungen
in der städtischen
Topographie geführt. Auch herkömmliche Lebensmittelgeschäfte
versuchen, durch Rabattaktionen und
Neubauten dem Verdrängungswettbewerb Stand zu halten.
Sylvia Winkler und Stephan Köperl entwickeln ihre künstlerischen
Projekte in Beziehung zu Orten und
Situationen, die sie auf Reisen und ausgedehnten Stadtwanderungen finden.
Als Beobachter erkunden sie
die verschiedensten kulturellen und sozialen Gemengelagen, um auf diese durch
eine künstlerische
Intervention, bevorzugt in öffentlichen Räumen, zureagieren. Dabei
agieren die beiden Künstler an Orten,
die in keiner Weise ideale Bedingungen zur Rezeption von zeitgenössischer
Kunst aufweisen: eine U-Bahn
in Mexiko, Shopping-Malls, eine Einfamilienhaus-Siedlung oder eben einfach
eine wenig definierte
Parkplatzsituation inmitten eines von Discountern umwucherten Geländes.
Im Rahmen der "KunstSchicht auf Lothringen" - eines jährlichen
Aktionsprogramms zur Untersuchung
künstlerischer Eingriffe in verschiedenen räumlichen Kontexten -
haben Sylvia Winkler und Stephan Köperl
das "Discounterkarussell" installiert.
Der Geschäftskomplex ist neben dem Kultur-Magazin Lothringen und dem
noch in Bau befindlichen
kulturwirtschaftlichen Gründungszentrum "Kulturwerk Lothringen"
ein zwar fragwürdiges, doch
funktionierendes Entwicklungsmodul für die Revitalisierung der Zechenbrache
im Zentrum von Bochum-
Gerthe. So ist die Nutzerstruktur dieses neu konzipierten Stadtraums äußerst
disparat. Während das
Kultur-Magazin mit Schwerpunkt in den Abendstunden und am Wochenende ein großstädtisch
orientietes
und Kultur beflissenes Publikum anzieht, locken die Discounter eine auf Billigst-Konsum
drängende
Öffentlichkeit im Sinne der "Geiz-ist-geil"-Ideologie. Die
durch großflächige Zeitungsinserate und bunte
Werbeflyer angeheizte Schnäppchenjagd führt an bestimmten Aktionstagen
zu chaotischen
Ausnahmesituationen als Normalzustand. Aufenthaltsqualitäten werden im
Umfeld der Discounter bewusst
außer acht gelassen, geht es doch darum, das Gelände schnellstmöglich
wieder zu verlassen, um
Neuankömmlingen Platz zu machen, was sich insbesondere auf das Parkverhalten
nieder schlägt.
Es herrscht hektische Betriebsamkeit auf dem Gelände, das historisch
betrachtet für die Entwicklung des
ursprünglich landwirtschaftlich geprägten Orts zum urbanen Stadtteilzentrum
konstitutiv ist. Der über eine
wenig attraktive Passage zwar versteckt, doch direkt zugängliche Marktplatz
verfällt indessen in autistische
Selbstvergessenheit. Als Reminiszenz an die Bergbau-Vergangenheit ist auf
dem Zentrum des Platzes eine
Seilscheibe errichtet worden. Diesem denkmalhaften Objekt, in dem die historische
Identität des Stadtteils
zum Ausdruck kommt, steht in der "neuen Mitte" von Bochum-Gerthe, auf dem
eher planlos erschlossenen
Zechengelände Lothringen eine Ballung von Discountern gegenüber.
Für diese paradoxe Situation haben Sylvia Winkler und Stephan Köperl
ein beredtes Bild gefunden. Das
Kultur-Magazin Lothringen wird für einige Tage zur Werkstatt, in der
mit einfachen technischen Mitteln eine
auf den Ort bezogene Intervention vorbereitet wurde. Aus Schichtholzplatten
werden Schienenbögen
ausgesägt, dann mit Blechstreifen versehen und schließlich zu einem
radförmigen System zusammen
gefügt. Einkaufswagen der fünf umliegenden Discounter werden mit
Wimpeln aus den jeweiligen
Angebotsflyern und ausgepolsterten Einkaufstüten ausgestattet. Durch
Stangen miteinander verkettet und
mit jeweils einem Vorderrad in die Schiene eingesetzt, formen sie schließlich
ein einfaches Karussell, das
sich mit einigen wenigen Handgriffen klamm heimlich - ohne Kenntnis der Geschäftsführung
des
angrenzenden Discounters - aufbauen und durch Menschenkraft, d.h. durch den
körperlichen Einsatz von
Sylvia Winkler, antreiben lässt. Aus einem offenen Kastenwagen - unauffällig
neben den anderen
parkenden Fahrzeugen abgestellt - tönt schräpige Musik, die ein
wenig Jahrmarktsatmosphäre schafft.
Stephan Köperl lädt von hier aus durch ein Mikrofon die zunächst
spärlichen Passanten ein, es sich doch in
einem der Wagen bequem zu machen und eine Karussellfahrt mitzumachen. Ein
dreifaches Hupen und der
Wechsel der Musik signalisieren den Beginn des absurden "Merry-go-round".
Die Rundfahrt wird begleitet
durch den gleichförmig wiederholten Spruch:
"Das Discounterkarussell dreht sich. Das Discounterkarussell bewegt
dich."
Der Zuspruch des Einkaufspublikums ist erst gering. Aus sicherer Distanz,
mit verschränkten Armen, werden
skeptisch-fragende Blicke herüber geworfen. Es bilden sich kleine Diskussionsrunden,
die sich bei der
Aufforderung, doch näher zu treten und teilzunehmen, schnellstens auflösen.
Doch wie aus dem Nichts
erscheinen plötzlich immer mehr Kinder, die - erst zögerlich, dann
mit stürmischer Begeisterung - die
Wagen erklettern, die ungewöhnliche Situation mit Begeisterung aufnehmen
und auf stets neue Runden
drängen.
Die fröhlich-aufgedrehte Atmosphäre entspricht ein wenig einer neckischen
Promotion-Aktion mit der
unvermeidbaren Hüpfburg und aufdringlicher Moderation an einem Ort, der
kaum festlich anmuten mag.
Irritierend ist hingegen die Verkettung eigentlich miteinander konkurrierender
Märkte in einem sie
verknüpfenden Zeichen, welches allerdings jenseits der metaphorischen
Lesbarkeit auch real erfahrbar ist
und zum spielerischen Benutzen auffordert. Auch der eher gelangweilt herunter
geleierte Spruch wirkt als
Stereotyp wenig animierend, sich in ein freudvolles Geschehen einzubringen.
Die an diesem Ort und zu
dieser Zeit grotesk anmutende Wiederkehr der immer gleichen Abläufe vergegenwärtigt
vielmehr eine
soziale und ökonomische Struktur, der auch die beiden Künstler selbst
sich nicht entziehen können.
Die Discounter-Kultur hat unser Einkaufs- und Konsumverhalten so tiefgehend
geprägt, dass die
Veränderungen bis in alle Lebensbereiche hinein spürbar werden.
Sylvia Winkler und Stephan Köperl
demonstrieren dieses Muster in einem Sinnbild, ohne es damit dekonstruieren
zu wollen. Durch das
harmlose Vergnügen eines Karussells vergegenwärtigen sie die bedrohliche
Situation immer weiter
fusionierenden Handelsketten und die daraus resultierende Machtposition einiger
weniger Monopolisten.
Es geht um die Darstellung eines gesellschaftlichen Phänomens, dessen
Ursachen und Auswirkungen
gemeinhin als unveränderlich hingenommen werden. Künstlerische Arbeit
stellt sich hier nicht als außerhalb
und unbeeinträchtigt von den beschriebenen Mechanismen dar. Sie versteht
sich vielmehr als ein
Handlungsbereich, der mit diesen Strukturen unlösbar verschränkt
ist und allein innerhalb des festgelegten
Rahmens Wahrnehmungen und Erkenntnisse befördern will. Das "Discounterkarussell"
vermittelt einen
Impuls, der außerhalb des Kunstbetriebs aufgenommen oder ignoriert werden
kann, der jedoch auf jeden
Fall durch die befremdliche, bewusst lapidare und monotone Attitüde der
beiden Künstler eine nachhaltige
Irritation, ein vorsichtiges Innehalten provoziert. Nicht der agitatorische
Protest gegen das System vermag
dieses zu verändern, doch die subtile Anleihe an dessen Funktions- und
Wirkungsweisen hat es für einen
Augenblick, in der grotesk-absurden und gleichzeitig spielerisch-befreienden
Situation des
Discounterkarussells kurz ins Stocken gebracht. In einer beiläufig anmutenden
Geste wurde hier Potential
zur Veränderung der gegebenen Strukturen sichtbar gemacht.
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